Sunday 6 July 2008

Verloren im Urwald von Kambodscha

Ich habe das Abenteuer gesucht, eine Steigerung des erfahrbaren Lebens, meiner persönlichen Grenzen und letztendlich auch gefunden. Nur nicht so, wie ich es mir gedacht hatte. Ich bin jetzt wieder in der Zivilisation, sitze in einem Café mit drahtlosem Internetanschluss in Siem Reap und versuche das erlebte in Worte zu fassen, es zu verarbeiten.
Alles begann mit großer Euphorie und Naivität. Ich bin durch den Kambodschaguide gegangen und habe mich darüber gewundert, dass über den Norden Kambodschas nicht berichtet wird. Also beschloss ich gemeinsam mit Rena einen Motorradtrip durch den Norden Kambodschas zu machen, um Kambodscha ein wenig authentischer zu erfahren. Wir mieteten uns also ein Motorcrossmotorrad, um auf alle Eventualitäten im Monsun gewappnet zu sein. Natürlich spielte auch meine kindliche Neugier mit einem Motorcrossbike durch Wald und Wiesen bzw. durch Dschungel zu fahren, eine ziemlich große Rolle.
Die ersten Tage waren ein typischer Roadtrip entlang der „Süd-Nordautobahn“, die Kambodscha mit Laos verbindet. Dementsprechend tat mir nur der Arsch weh, weil ein Motorcrossbike nicht für Langstreckenausflüge ausgelegt. Designprämisse eines Motorcrossbikes ist die Fahrt durch unebenes Gelände, bei dem der Arsch eh nie mehr als 5 Minuten am Sattel klebt. Nach 3 Tagen waren wir im Norden angekommen, tankten nochmal voll, weil die Karte nach der Überquerung des Mekongs nur noch eine kleine Straße mit vereinzelten Dörfern verzeichnete, in denen es wohl schwierig sein würde Superbenzin zu erhalten.
Die Flussüberquerung war schon sehr abenteuerlich, weil es keine richtige Fähre, sondern nur umfunktionierte Fischerboote gab, die uns auf die andere Seite brachten. Es war dann auch nicht sehr verwunderlich, dass ich dann auch für die nächsten 5 Tage kein Auto mehr sehen würde.
Am anderen Ufer suchten wir vergeblich nach einer Straße. Hier nicht im Sinne einer schönen asphaltierten Straße, sondern im Sinne eines Doppelweges, der planiert wurde. Letztendlich wiesen uns die Dorfbewohner einen kleinen einspurigen Pfad entlang, den ich normalerweise als Wanderweg zu Fuß begehen würde, aber den ich nicht auf einer Kambodschaübersichtskarte als Straße verzeichnet vermuten würde. Wir folgten mehr oder weniger dem Weg, aber vielmehr unserem Kompass und schafften es erstaunlicherweise uns die ersten zwei Tage von Dorf zu Dorf zu hangeln. Ohne ein Motorcrossbike wären wir schon lange verloren gewesen. Ihr müsst euch einen einspurigen Ackerweg im Regen, um geben von Urwald, vorstellen. Wir sind also konstant durch Wasserlöcher gefahren, zogen das stecken gebliebene Motorrad aus dem Schlamm, waren von oben bis unten mit Schlamm bedeckt und lernten ziemlich schnell durch ½ m tiefe Flüsse zu fahren. Je länger die Fahrt dauerte, desto mehr wollten wir nur raus aus dem Urwald. Wir legten pro Tag vielleicht 50 km durch den Dschungel zurück, mehr war einfach nicht möglich. Glücklicherweise trafen wir auf sehr freundliche Dorfbewohner die uns ein Dach über dem Kopf gaben und ein wenig zu Essen und Trinken.
Jedesmal wenn wir dachten, dass der Weg nicht schlimmer werden könnte, fanden wir mehr Schlamm, größere Wasserlöcher oder noch mehr umgefallene Bäume, die wir umfahren mussten. Der Höhepunkt des falschen Optimismus war dann die Flussüberquerung am 3. Tag, die über eine Holzbrücke aus lose hineingelegten runden Baumstämmen bestand. Rena ging zu Fuß über die „Brücke“ auf der ich wenig später ins Wasser fiel, weil die Baumstämme sich auseinanderbewegten. Das Motorrad sank komplett unter Wasser und wir konnten es nur mit größter Mühe aus dem Fluß ziehen. Der erste Startversuch war ohne Erfolg. Wir hatten kein Werkzeug um den Motor zu öffnen, geschweige denn um die Zündkerze zu wechseln. Zweites Problem war die sehr altersschwache Batterie, die nur 2 Startversuche zuließ. Bei unserem Motorcrossbike gab es auch keinen Kickstarter, weshalb wir ohne äußere Hilfe nicht mehr weiterkamen. Wir standen also mitten im Urwald, hatten kein Möglichkeit das Motorrad zum laufen zu kriegen und beschlossen bis zum nächsten Dorf zu laufen. Wir schoben das Motorrad noch ein kleines Stück weiter, schlossen es doppelt ab und liefen los. Wir liefen noch eine Stunde nach Sonnenuntergang und sahen dann ein, dass es keinen Sinn machte im Dunkeln zu laufen. Ohne Nahrung und ohne Trinken ließen wir uns auf dem feuchten Boden des Waldes nieder. Zum Glück hatten wir eine Taschenlampe und ein Feuerzeug. Der Urwald ist beständig feucht und wir verbrannten den Reiseführer um das Feuer zu starten und Holz über dem Feuer zum weiteren verbrennen zu trocknen. Letztendlich war der Reiseführer doch noch zu was gut in dieser Gegend ;-)!
Wir hatten riesige Paranoia vor wilden großen oder giftigen kleinen Tieren, weshalb wir im Zweistundenrhytmus Wache schoben. Einer kümmerte sich ums Feuer und der andere konnte schlafen. Neben diesem außerordentlichen psychischen Stress kam der Hunger, aber vielmehr noch der Durst hinzu. Uns gingen ständig Überlegungen durch den Kopf wie lange ein Mensch ohne Wasser und ohne Essen überleben kann. Wir versicherten uns gegenseitig, dass wir mindestens 7 Tage ohne Wasser auskommen könnten.
Am nächsten Morgen waren wir beide heilfroh noch am Leben zu sein, vor allem, weil wir in der Nacht Motorräder vorbeifahren hörten. Wir liefen nochmal zurück zu einer Gabelung am Vortag und liefen weiter westlich auf dem anderen Pfad. Unser Durst erhöhte sich drastisch, weshalb wir einfach für die Motivation Wassertropfen von Blättern leckten, ohne zu wissen, ob wir uns dadurch irgendetwas zuzögen. Am Mittag trafen wir endlich auf zwei Jäger, die mit dem Motorrad unterwegs waren und hofften auf ihre Hilfe. Sie deuteten nur an, dass wir 2 km von einem Fluss entfernt seien. Mein Geist phantasierte von Fruchtshakes, die ich noch vor ein paar Tagen genüsslich trank. Als wir am Fluss ankamen, stürzten wir zum Wasser und tranken 30 Minuten lang, um unseren dehydrierten Körper wieder etwas Energie zuzuführen. Es war uns ziemlich egal oder vielmehr hatten wir keine Wahl, ob wir abgekochtes Wasser trinken oder nicht. Es war unglaublich wie stark das Wasser meinen Körper wiederbelebte. Ich konnte förmlich mit jedem Schluck die Revitalisierung spüren. Zum Glück hatte ich meinen wasserdichten Sack für meine Kamera dabei, den wir als Wassersack umfunktionierten.
Ein paar Stunden spaeter trafen wir auf sehr komische Mönche, die rauchten, nicht lachten, kein Englisch sprachen und sich sonst auch eher wie Banditen benahmen (Alle Mönche die ich bisher auf meiner Reise traf, sprachen Englisch, lachten überaus viel und rauchten nicht.). Den restlichen Weg unseres Fußmarsches drehten wir uns abwechselnd um, um zu schauen ob sie uns nicht folgten und überfallen würden. Unsere Sinne und unsere Geister waren vollkommen auf überleben fokussiert, vielleicht schon auf einem paranoiden Level, aber jede Merkwürdigkeit erhielt unsere ungeteilte Aufmerksamkeit.
Die folgende Nacht erreichten wir zum Glück die EINZIGE Hütte weit und breit. Der alte Herr sprach Vietnamesisch, war jedoch, aufgrund der vietnamesischen Besatzung nach 1979, nicht sehr erfreut Vietnamesisch zu sprechen. Dennoch ließ er uns bei sich schlafen, gab uns Reis zu essen und ließ uns Wasser abkochen. Er konnte uns auch einen kleinen Hinweis darüber geben wo wir waren oder zumindest wie weit das nächste Dorf entfernt war, weil unsere Karte sich als total unbrauchbar herausstellte. Am nächsten Morgen gab er uns noch Reis zum Frühstück, wir bedankten uns herzlichst und machten uns auf zum 10 km entfernten Dorf „Sok Cha“
Glücklicherweise trafen wir auf einen relativ netten Polizisten, der uns gegen Bezahlung zum Dorf fuhr. Die nächsten drei Tage verbachten wir in dem Dorf, um Menschen zu finden, die uns helfen konnten das Motorrad aus dem Dschungel zu holen. Bei Verlust hätten wir 1800 Dollar bezahlen müssen. Die Dorfbewohner durchsuchten förmlich unsere Rucksäcke, auch und vor allem, wenn wir sie nicht im Auge hatten. Fragten uns ständig, ob wir CD-Player oder Kameras hätten, was wir verneinten. Wir waren immer noch im Zustand des absoluten Überlebenswillens und sehr Misstrauisch, was sich im Nachhinein als sehr richtig erwies. Welcher Dörfler fragt einen schon direkt nach „CD Player, Kamera, Mister?“ ??? Wir wurden wie Attraktionen im Dorf vorgeführt und von unserer „Gastgeberin“ als Profilierungsmittel benutzt. Sie sprach etwa 5 Wörter Englisch und machte allen weiß, dass sie Englisch spräche. Stellt euch jemanden vor, der die folgenden Wortgruppen 12 h am Tag zu euch spräche, absolut kein Witz und eher untertrieben:
„I am breakfast“ „Where do you go mister“ „I am wash“ Sie konnte nicht konjugieren und wiederholte einfach immer wieder die gleichen Worte, auch wenn wir ihr tausend Mal sagten, dass wir sie nicht verstünden. Andere kommunizierten in Zeichensprache, was ziemlich gut funktionierte, aber sie wollte ihre Position im Dorf und vor allem vor ihrer Mutter erhöhen. Letztendlich fanden wir einen Mechaniker und ich fuhr mit einem, dem Englisch mächtigen, Kambodschaner, dem Mann unserer Gastgeberin und dem Mechaniker 4 Stunden auf zwei Scootern zum Platz wo wir das Motorrad stehen ließen. Dort angekommen erwischte ich zwei Jungen mit ihren MÜTTERN wie sie das Motorrad klauen wollten. Sie hatten schon das Schloss an der Kette entfernt und hatten versucht das Lenkerschloss zu knacken, was darin resultierte, dass mein Schlüssel jetzt auch nicht mehr ins Schloss passte. Der Mechaniker versuchte die ganze Nacht das Motorrad zu reparieren, baute das Lenkerschloss aus, schloss es kurz, aber alles leider ohne Erfolg.
Am späten Morgen schnitten wir eine große Liane ab und schleppten das Motorrad ab. Kambodschaner arbeiten sehr ungerichtet und machen ständig pausen zu den unpassendsten Momenten. Als wir ungefähr 10 km vom Dorf entfernt waren, erhöhten sie ihre Pausenfrequenz enorm. Ich sagte dem Englisch sprechenden Kambodschaner, dass Rena sich große Sorgen machen würde, weil wir eigentlich schon gestern zurück sein wollten, aber er ignorierte es einfach. Als dann auch noch zwei Jäger mit einem Toten Reh vorbei kamen und sie einen Rehschenkel von ihnen kauften, um ihn gleich vor Ort zu braten, musste ich mich sehr zusammen reißen um nicht zu explodieren. Ich fragte ihn, warum sie es nicht mit ihren Frauen teilen wollten, die nur 10 min entfernt sind? Er log mir direkt ins Gesicht, dass wir Pause wegen den Motoren machen müssten und ich gab ihm zu verstehen, dass er mich anlüge, jedoch kehrte er sich nur ab und sagte nichts mehr. Wir hielten sonst nur für eine Minute um die Motoren ein wenig zu kühlen.
Letztendlich kam ich völlig entnervt endlich in dem Dorf mit dem Motorrad an und wollte nur noch so schnell wie möglich weiter und das nächste 20km entfernt gelegene Dorf erreichen, indem es wieder Autos gab, die uns zu einer Stadt bringen konnten. Ich bezahlte jedem 10 Dollar und als der englischsprechende Kambodschaner, der am wenigsten getan hatte, auch noch 50 Dollar verlange, platze mir der Kragen. 10 Dollar verdient die Familie vielleicht in zwei Wochen, weil sie in dem kleinen Dorf relativ autark leben und fast ausschließlich für sich selber anbauen. Es kam alles zusammen, der Psychoterror der „Gastgeberin“, das Wühlen in den Sachen, das fragen nach Kamera und CDPlayer und das doppelgesichtige Verhalten der Dorfbewohner. Sie lachten fast immer, aber ich verstehe das Lachen jetzt als die Fassade der kambodschanischen Gesellschaft. Es geht darum sein Gesicht zu waren, egal worauf man trifft. Ich hatte davon gelesen, es aber nicht wirklich verstanden, als Haing Ngor (Darsteller vom Film „The killing fields“) es in seiner Autobiographie beschrieb.
Letztendlich bin ich sehr froh dort lebend raus gekommen zu sein, das Motorrad wieder zurückgegeben zu haben und viel gelernt zu haben. Ich habe meine Grundbedürfnisse durch das Reisen schon auf ein Minimum zurückgeschraubt, aber die letzte Zeit ließ mich hautnah fühlen, dass ich nur eine Unterkunft, einfach nur Wasser und ein wenig zu Essen zum Ueberleben brauche. Als mentales Modell war mir dies schon vorher klar, es jedoch wirklich zu erfahren, hat sich in mir eingebrannt.
Ich habe noch Vieles ausgelassen und einiges zusammengefasst um den Eintrag nicht zu lang zu machen. Mein letzter Gedanke hierzu betrifft das Privileg eine Versicherung zu besitzen. Ich hatte einige Wunden von dem Marsch, die sich entzündeten und hohes Fieber ausloesten, weshalb ich hier in ein internationales Krankenhaus ging. Dort säuberten sie mir die Wunden, untersuchten mich von oben bis unten und bescheinigten mir eine bakterielle Infektion durch meine Wunden, aber keine Malaria. Antibiotika und einige andere Pillen wurden mir verschrieben, die hoffentlich dann auch den Abschluss des Erlebten bedeuten. Der ganze Spaß kostete mich fast 400 €, die ich zum Glück von meiner Versicherung in Deutschland zurück erhalten werde.
Schlußfazit also ist: ein wenig Planung und gesundes Mißtrauen sind nicht schlecht zum überleben während des Trips und eine Krankenversicherung ist sehr wichtig nach dem Trip!

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