Friday 12 October 2007

Madame Unzufrieden

Ich teile mir gerade ein Zimmer mit einer armenisch-britischen Frau, die wirklich eine Frau ist (42). Sie ist noch ziemlich jung im Geiste geblieben, aber entwickelt schon langsam “Altersallüren”. Ich würde sie als Ernährungshypochonda charachterisieren, da sie an allem, was sie zu Essen bestellt, rummäkelt. Ich habe noch nie einen Menschen erlebt, der so viel negative Energie beim Essen versprühen kann. Ich bin der absolute Genussmensch beim Essen und war wirklich gestresst beim und nach dem Essen mit ihr. Irgendwie gebot mir aber meine Höflichkeit den Tag mit ihr zu verbringen, da ich ein Zimmer mit ihr teilte, um möglichst günstig zu übernachten. Hätte ich gewusst, dass es mit solch einem Stress verbunden ist, hätte ich gern das doppelte bezahlt.
Abgesehen von diesen Unzufriedenheitsattacken ihrerseits, war der Tag aber sehr schön, weil ich zwei sehr schöne menschliche Begegnungen hatte.
Auf der Suche nach der “Bhagavadgita”, einer der Hauptsagen der Hindus, worauf Ghandi auch seine Philosophie und Lebensweise begründet, fand ich den ersten richtigen Buchladen, in dem ich mich richtig wohl fühlte. Der Buchladen war sehr gut sortiert und ich hatte das Gefühl, dass der Besitzer mich mit ganzem Herzen beriet. Es gibt nämlich tausend Übersetzungen und Interpretationen der “Bhagavadgita” und er suchte mir die beste und passendste heraus. Wir kamen ins Gespräch und er erzählte mir von seiner Verbindung zu verschiedenen indischen Autoren, z.B. zu Baby Halder, eine bemerkenswerte Frau, die “A life less ordinary” schrieb, ein autobiographisches Buch über Mut und Selbstbestimmung. Neben seinem Buchladen veranstaltet er regelmäßig Filmabende und versucht gerade ein Deutsches Filmfest auf die Beine zu stellen. Ich konnte ihm ein bisschen über die Leipziger Schule, Wim Wenders und die Berlinale erzählen, aber bin auf diesem Gebiet fast Ahnungslos. Wir tauschten unsere Emailaddressen aus und ich versprach ihm mehr Informationen zukommen zu lassen. Er war auch kürzlich in Varanasi, verfasste einen Artikel für eine Kulturzeitschrift und photographierte auch die Bilder für den Artikel. Zum Abschied schenkte er mir die Zeitschrift, was sehr bemerkenswert war, da die Zeitschrift 50Rs kostete und ich für mein Buch nur 160Rs bezahlte, was ihm eigentlich keinen Umsatz ließ. Es sind solche Begegnungen, wenn Menschen wahrhaftig handeln, ohne irgendwelche Hintergedanken, die mich mit absoluten Glück erfüllen. Ich versuchte es der armenischen Britin zu erklären, jedoch meinte sie nur, dass er ja Umsatz gemacht hatte, weil sie auch ein Buch gekauft hatte. Die Wärme, die noch vor kurzem meinen Körper und Geist erfüllte, wich schnell dem kalten Drang unser nächstes Touristenziel zu erreichen.
Wir gingen zum Kunst- und Handwerkszentrum von Sikkim, das auch eine Schule für traditionelle sikkimische Kunst und sikkimisches Handwerk beherbergt. Es war dem tibetischen Flüchtlingslager sehr ähnlich, nur das der Kauf ihrer Waren in die Erhaltung ihrer Kultur floss und nicht zum Lebensunterhalt diente. Als ich in das Zimmer für die Fertigung von Wandtäfelungen ging, sah ich 12 Jungen verschiedene Wandtäfelungen fertigen. Ich konnte die Prozeß vom Entwurf auf Papier, über das Schnitzen bis zur fertigen Lackierung beobachten. Ich sah einen Stapel mit fehlerhaft geschnitzten Rohlingen und fragte den Lehrer, ob ich einen davon kaufen könne. er meinte nur nüchtern, dass diese nicht für den Verkauf seien, jedoch gab er mir eine Täfelung mit einem Zwinkern und verlangte nichts dafür. Ich freute mich riesig und bedankte mich sehr. Er hatte mir nicht nur eine Täfelung geschenkt, sondern ein richitges Unikat. Es sind die Fehler in dieser Täfelung, die mich immer wieder an diesen schönen Moment denken lassen.
Madame Unzufrieden rannte während dessen durch die Klassenzimmer und das Museum, um sich an den Waren im Shop zu befriedigen. Sie kaufte sich sechs Hefte aus handgemachtem Papier und schien zum ersten mal zufrieden zu sein.
Wir verließen dann recht schnell den Shop und machten uns an den Aufstieg zu einem buddistischen Tempel im Nordosten von Gangtok. Nach einer halben Ewigkeit waren wir oben angekommen, weil sie alle 100m eine Pause benötigte. Der Tempel strahlte von außen erhabenheit und Ruhe aus. Im Innern arbeiteten und beteten Möche. Ich ging in einen Raum, in dem ungefähr 100 kleine Kerzenständer auf einem Tisch standen. wovon einige Kerzen leuchteten. Ein junger Mönch gab mir einen Holzspat und hieß mich eine Kerze anzuzünden. Nachdem ich dies getan hatte, sagte er mir, dass pro Kerze ich 5Rs zu zahlen haben. Ich fühlte mich wirklich verarscht,, weil ich diese “Verkaufstricks” von den Händlern auf den Straßen erwarte, aber nicht von einem Mönch in einem Tempel. Ich komme immer mehr zu der Überzeugung, dass Religionen sehr positiv sind, aber in ihrer institutionalisierten Form, sei es Kirche, Moschee oder Tempel, stark korrumpiert sind.
Der Tag ging noch ein bißchen weiter mit ein paar Höhen und Tiefen, die hauptsächlich durch Madame Unzufrieden verursacht wurden. Wir rannten z.B. für das Abendessen durch 5 verschiedene Restaurants, da ihr die Speisekarten oder das Restaurant an sich nicht gefielen. Ich hätte sie fast zu einer Straßenküche geschleppt und sie dort zum Essen gezwungen.
Ich bin heilfroh, dass sie morgen in eine andere Richtung fährt und ich wieder mein Reise wirklich geniessen kann. Ich verstehe kaum, wie man so ignorant und unzufrieden als Reisender sein kann. Glück und Zufriedenheit sind sehr zerbrechlich und ich möchte nicht, dass sie durch Nichtigkeiten zerstört werden.

2 comments:

Kevin said...

Auf jeden Fall weißte jetzt, was Du nicht willst und genießt die Zeit ohne Mme Unzufriedenheit vielleicht noch etwas bewusster.

bizillianer said...

oh absolut, sie war ja immerhin noch halb britisch. Ich glaube, dass ich langsam einen Britenrassismus entwickle. Ich muss echt mal einen wirklich netten und interssanten britischen Menschen treffen, ansonsten kann ich das Bild in meinem Kopf nicht mehr verruecken.

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