Thursday 11 October 2007

Geschichte der Wunsch- und Realliebe

Ich sitze jetzt in Gangtok (Sikkim) ca. 100 km von Darjeeling und versuche meine Jeepfahrt zu verarbeiten. Ich bin am Mittag von Darjeeling mit dem Jeep losgefahren und war gegen 5 Uhr in Gangtok. Die Jeepfahrt war fast schlimmer als mein Ausflug im Nachtbus, weil die Straßen saumässig schlecht sind und der Jeep sich im Wellengang der Berge wiegte. Hier Gangtok erlebe ich wieder das Phänomen, dass renomierte Hostels/Hotels sehr viele Namensvettern erhalten, die nur geringfügig anders geschrieben werden, um den gestressten Touristen in ein anderes Hotel zu locken. Neben diesem Backpackeraltagsstress musste ich den ganzen Tag über ein Paar nachdenken, dass neben mir im Jeep saß. Vielleicht versuche ich einfach mal eine Kurzgeschichte darüber zu schreiben.
Der erste Teil der Geschichte entsprang meiner Phantasie und meinem Streben nach wahrer Liebe (ja, irgendwie glaube ich immernoch daran). Der zweite Teil ist leider die pure Realität und meine Wahrnehmung als westlich geprägter Mensch, der versucht nicht zu richten. Es hat mich auf jedenfall ziemlich getroffen und ich verurteile soweit nur die Gewalt. Alle anderen Faktoren entziehen sich meiner Erfahrungswelt.

Tshering – Mädchen/Frau
Dewasish – Junge/Mann

Die Sonne ging gerade am Ufer des Tsomgo Sees auf, der gute 5 Stunden Fußweg von Gangtok entfernt ist. Tshering holte Wasser für die Famlie und ihre Tiere. Vor allem aber, um den Jungen am anderen Ufer zu sehen, dessen Namen sie nicht kannte. Am Tsomgo See existierten zwei Dörfer, die jedoch durch die anhaltenden Konflikte zwischen Nepal und Bhutan verlassen wurden.
Damals ging Tshering täglich das Wasser holen und genoß den 20 minütigen Fußmarsch früh am Morgen, wenn sich der Morgenebel langsam lichtete und das Tagleben des Waldes begann. Es war ein immer wiederkehrendes Ritual und ihr Bewusstsein bemerkte jede kleine Änderung in ihrer Welt.
Eines Morgens jedoch war es keine kleine feine Änderung, sondern ein Erdbeben, dass ihre Welt erschütterte. Sie sah am anderen Ufer einen Jungen sitzen, der etwas hoch in die Luft hielt und in seiner Position eine halbe Ewigkeit verharrte. Nachdem sie völlig gedankenverloren ihn bei seiner Meditation beobachtete, sie dachte, dass er meditiere, erschrak sie, da die Sonne schon über den Wipfeln der Bäume stand. Sie füllte den Eimer und spannte den Trageriemen über die Stirn und rannte nach Hause.
Am nächsten Morgen lief sie, so schnell sie konnte, zum See und beachtete den Wald und die Tiere kaum. Sie hoffte den meditierenden Jungen am See wieder zu sehen. Als sie fast den See erreicht hatte, schlug ihr Herz wie wild und wollte nicht in ihrer Brust bleiben. Ein Glücksgefühl durchströmte ihren ganzen Körper, als sie den Jungen am anderen Ufer erblickte.
Dieses Ritual vollzog sich Jahr um Jahr und sie reifte zu einer wunderschönen Frau heran. Sie fragte die Handelsmänner, die von Dorf zu Dorf zogen, wer der Fischer aus dem anderen Dorfe sei. Die Männer, angezogen von ihrer betörenden Schönheit, antworteten es sei nur der Fischerjunge Dewasish. Nun hatte ihr Gefühl einen Namen, den sie in ihrem Herzen tragen konnte.
Eines Tages jedoch erblickte sie Dewasish nicht mehr. Tag um Tag verging und ihr Gang zum See wurde schleppender und qualvoller. Eines Tages belauschte sie ihren Vater, den Stammesältesten ihres Dorfes, beim Gespräch mit dem Stammesältesten des gegenüberliegenden Dorfes. Er sprach von einem Fischerjungen, der nach Darjeeling gegangen sei um sein Glück zu versuchen und jetzt sehr erfolgreich sei. Als sie dies hörte, packte sie ihre Sachen und verließ ihre Heimat, nur eine kleine Notiz hinterlassend, dass sie ihre Eltern liebe und wiederkommen werde. Ihr Weg durch die Berge war beschwerlich, doch viele gute Seelen halfen ihr dem Ruf ihres Herzens zu folgen.
In Darjeeling fand sie eine Unterkunft und eine Position als Haushälterin bei einem Teeplantagenbesitzer. Dieser war sehr gutmütig und bezahlte ihr so viel Geld, dass sie ihren Eltern immer eine kleine Summe schicken konnte.
Nach einem Jahr fand sie endlich Dewasish und er erkannte sie sofort. Sie standen absolut erstarrt voreinander, als ob der See sie immernoch voneinander trennte. Sie wollte ihn so vieles fragen, doch ihr kam kein Wort über ihre Lippen. Es war eiskalt auf der Straße und der Wolkennebel durchnässte ihre Kleidung. Dewasish sah ihre blauen Lippen und lud sie zu sich nach Hause ein, um sich aufzuwärmen. Sie betrat sein Heim und verließ es mit jubelndem Herzen. Sie trafen sich ein Jahr lang immer bei ihm und sie verlebte die glücklichste Zeit ihres Lebens, doch immer wenn sie von Heirat sprach, wollte brach er das Thema ab und wurde sehr wütend.
Eines Morgens fühlte sie sich schwach und übel. spürte, dass sich ihr Körper veränderte und rannte voll Glück und Freude zu Dewasish. Er öffnete ihr die Tür, sah ihre Freude und fragte, ob sie eine Gehaltserhöhung erhalten hatte. Als er jedoch den Grund ihrer Freude erfuhr, schmiß er sie raus und wollte sie nicht mehr sehen. Sie war am Boden zerstört und weinte Tag und Nacht.
Nach einer Woche kam er zum ersten Mal zu ihr und sah in welchem ärmlichen Verhältnissen sie lebte. Sie verzieh ihm sofort und alles war vergessen.
Im sechsten Monat spürte sie den Drang ihr Baby in ihrer Heimat zur Welt zu bringen, jedoch gefiel Dewasish dieser Gedanke absolut nicht, da er sein Gesicht vor seiner Famlie und dem Dorf verlieren könnte. Er hatte ein Mädchen geschwängert und es nicht zu seiner Frau genommen. Aber viel mehr war er die ganze Zeit nur ein armer Schlucker gewesen, der es nicht schaffen würde eine Familie zu ernähren. Sie liebte ihn über alles und überzeugte ihn doch noch zu fahren, nur um ihre Eltern zu sehen. Sie gingen also gemeinsam zum Jeepstand und stiegen in den Jeep nach Gangtok. Er saß ganz steif da und sie schlang sich liebevoll auf den Sitz um ihn. Nachdem der Jeep sich in Bewegung gesetzt hatte, begannen sie sich zu streiten und als der Jeep hielt um noch eine Person aus Darjeeling mitzunehmen, stieg er über den vorderen Sitz und stieg aus. Sie folgte ihm zur vorderen Sitzbank und öffnete die Tür, doch er schlug sie vor ihrer Nase wieder zu und drückte sie durch das Fenster zurück. Sie öffnete wieder die Tür und sein Gesicht verfinsterte sich. Er schrie etwas mit wuterfülltem Gesicht und stieß die Tür wieder zu. Sie näherte sich dem Fenster um ihn festzuhalten und die Tür zu öffnen, da schlug er sie mit seiner offenen Hand so dass sie ein wenig zurückweichen musste. In ihrer Abhängigkeit und ihrem Wahnsinn näherte sie sich wieder der Tür und öffnete sie. Blinde Wut überkam ihn, er ballte seine Faust zusammen und schlug ihr mitten ins Gesicht. Sie viel auf den Sitz und er entfernte sich vom Jeep. Alle Passagiere im Jeep saßen wie erstarrt in ihren Sitzen, machtlos etwas zu unternehmen.
Als sie sich wieder aufgerappelt hatte, öffnete sie die Tür und stieg aus dem Jeep. Er kam sofort zurück und schlug auf offener Straße auf sie ein. Ließ dies jedoch nach kurzer Zeit bleiben, da er sich langsam seiner Handlung bewusst wurde oder vielmehr sich seines Bildes in der Öffentlichkeit bewusst wurde. Der Jeep fuhr 100 m weiter und wartete, ob sie noch mitfahren wollte. Nach 2 min kamen beide wieder zum Jeep und stiegen ein. Sie weinte stark im Jeep und er redete wütend auf sie ein. Ihre Versuche sich körperlich zu nähern, stieß er mit groben Bewegung von sich. Nach dem sich seine Wut gelegt hatte, schliefen beide ein. Am Ende der Fahrt überkamen sie Schmerzen im Unterleib und er legte seine Arme um sie. Sie schienen ein glückliches Paar zu sein, dass bald ein Baby erwarten würde und das einzige Problem schienen jetzt nur noch ihre Unterleibschmerzen zu sein.

Das Ende der Geschichte bleibt offen, aber in meinen Augen wird es das Baby hoffentlich schaffen seine Liebe zu erwecken oder zumindest seinen Respekt, wenn sie es nicht vermag. Ich hätte ihm am liebsten ihm die Arme gebrochen, aber wie ich oben schon erwähnte, vermag ich nur die Gewalt zu verurteilen. Ich weiß nicht, was ihn wirklich dazu getrieben hat und welchen Lebens-/Liebesbegriff die beiden haben. Es war ein sehr berührender Moment, auch wenn sehr negativ. Das einzige, was ich zu tun vermochte, war ihr ein Taschentuch zu geben, um ihre Tränen zu trocknen. Sogar hier spürte ich seine Dominanz über sie, da sie das Taschentuch nicht annahm, sondern erst nachdem er es nahm und ihr gab.

8 comments:

Anonymous said...

he kiên,

ich komm mit dem posten ncih klar ....hat eben nicht geklappt...naja egal...die geschichte gefällt mir gut doch manchmal benutzt du wörter die meiner meinung nach nicht recht in das bild passen, das du erzeugst.
würd gern bald wieder eine lesen...


und das typen ihre schwangere frau schlagen geht ja wohl garnicht klar...das hat auch nichts mit westlicher perspektive zu tun...aber ich hätt auch nicht gewusst wie ich reagiert hätte wenn ich in dieser situation gewesen wäre. vielleicht siehst du ihn nochmal...dann kannst du ihm immer noch die arme brechen...rückwirkend sozusagen...


wünsch dir trotzdem noch eine angenehme weiterreise...drück dich vio

Anonymous said...

hey kien,
der anfang ist wunderbar kitschig mit dscungelbuch-touch.der rest macht einfach nur wütend.bin ich froh, dass ich für mich allein entscheiden kann und schläge eines partners nicht hinnehmen muss. doch eine gegenwehr der frau wäre in der geschichte wohl unmöglich und dann ist sie von diesem heinz noch schwanger. das wird sicher nicht der erste und letzte gewaltsame streit gewesen sein, so wie der kerl drauf war.traugig.

Anonymous said...

Jeder gibt und nimmt soviel Liebe wie er eben kann. Immer. Nicht mehr und nicht weniger. Nur mal mehr und mal weniger.

Anonymous said...

Liebster Kiên, welcher Teil der Geschichte soll eigentlich die Realliebe sein? Das bist typisch Du. Ich glaube, man kann Schläge an eine schwangere Frau in Indien auch aus einer "westlichen" Sicht ruhig ganz schlicht und einfach als Schläge sehen. Das hat für mich mit irgendwelchen sogenannten "kulturellen" Unterschieden nichts zu tun. Wie Dir frühere Erlebnisse Deiner Reise durch Indien gezeigt haben, muss die Frau in Indien nicht die Unterdrückte sein. Warum versuchst Du, nicht zu richten? Weil Du es als "westlich"-geprägter Mensch nicht beurteilen darfst? Weil man es als eine andere Art von Liebe verstehen muss und sich als Kulturignorant herausstellt, wenn man es nicht kann?
Ich find den ersten Teil Deiner Geschichte gar nicht kitschig. Ich glaube an solche Momente und lese gerne solche stories... Ich habe ja schon einmal hier gesagt, dass ich finde, dass Du ein Talent zum Schreiben hast. Mich wundert, dass ich das bei meinem jahrelangen Freund noch nie entdeckt habe...:-) Also weiter so Du indisch-betörter Geschichtenschreiber.
Ich hoffe, Dein komisches Virus ist wirklich weg. Ich war ganz erschrocken als Franka mir erzählte, dass Du einfach so irgendwelches Antibiotika genommen hast. Bist Du wahnsinnig? Da muss man doch zum Arzt gehen! Jedenfalls dachte ich das immer so. Pass auf Dich auf!
Un fuerte abarzo,
Deine Ivonne

Anonymous said...

oh kien, dass ist alles s herlich zu lesen und da kann sich mal aus berlin wegträumen
bald mehr
pass auf dich auf
fraulaura

bizillianer said...

Vielen Dank fuer eure Kommentare.

Yeah, ein bissl Kitsch steckt wohl in mir oder die Unfaehigkeit es nicht kitschig zu verpacken ;-)

Wie ich oben schon geschrieben habe, ist die Gewalt das Einzige, was ich verurteilen kann. Alle anderen Aspekte ihrer Beziehung entziehen sich sowohl meinem sprachlichen Verstaendnis (habe nur die Koerpersprache beobachten koennen) als auch dem kulturellen hier.

Ich schreibe meinen Blog nicht viel anders als ich spreche und in der Geschichte habe ich versucht mal zu schreiben. Naja, ich muss da wohl noch ein bissl ueben.

bizillianer said...

PS: es gibt so viele Formen der Liebe, die wir nicht verstehen und die Gewalt in der Liebe, sei es psysisch oder physisch steckt meiner Meinung nach in einem Grossteil von Beziehungen. Natuerlich ist die beschriebene Gewalt in der Geschichte ein Extrem, aber leider immernoch real. Wuerde man die Frau fragen, ob sie ihn liebt, wuerde sie mit Bestimmtheit mit "ja" antworten.

Kevin said...

Ist halt die Frage, ob die Frau den Mann wirklich liebt, oder ob sie diesen Mann "braucht" oder glaubt zu brauchen. So oder so scheint sie wohl in seiner Abhängigkeit zu stehen, was erklären würde, warum sie die Gewalt in Kauf nimmt.

Mir gefällt das Bild, dass Du um das Erlebnis im Jeep gesponnen hast. Entspringt wahrscheinlich der Frage nach den Gründen für das Verhalten der zwei.

Allerdings empfand ich das teilweise zu bruchstückenhaft erzählt. Schon nachvollziehbar, aber an manchen Passagen, fand ich, hast Du das Bild oder die Szene gerade mal nur angerissen, aber zu kurz für mich, um dazu ein Bild in meinem Kopf zu entwickeln.

Zum Beispiel an der Stelle, wo sie aus dem Dorf fortging. Da hat mir noch was gefehlt. Und auch an der Stelle, wo sie sich in der Stadt wiederbegegnen. Da fehlt noch ein bisschen drumherum, sag ich. Du schreibst von Nebel, aber die Szene geht in meinem Kopf nicht auf, weil ich nicht weiß, was da noch alles drumherum ist. Ob es Nacht ist? Ob die Straße belebt ist? Und auch, wie sie dann zum ersten Mal zu ihm kommt - und dann gleich wieder geht ohne ein Wie und Was. Zu knapp für meine Phantasie, um mir vorzustellen, was in den beiden und drumherum vorgeht.

ABC,
N

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